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II.  Teil: Die Präformierung der moralischen Subjektivität der Moderne
in der mittelalterlichen Philosophie Abaelards
(1)

Heloisa an Abaelard:
„Die freischenkende Liebe solle
mich an sie binden und
nicht die drückende Ehefessel.“
(Leidensgeschichte, S. 30)

1.  Historische Voraussetzungen: Die soziale Situation im 12. Jahrhundert

2.  Glauben und Vernunft, Autorität und Selbstdenken

3.  Die Entdeckung der menschlichen Subjektivität bei der Erkenntnis: Nominalismus

4.  Die Aufwertung der Körperlichkeit

5.  Der Grundgedanke der Ethik: Die innere Zustimmung

6.  Der moralische Maßstab von Abaelard, das Gewissen und die Tugendlehre

7.  Handlungen und Werke – gegen Einwände von Max Weber

8.  Moralität und Legalität

9.  Moral und Herrschaft

Anmerkungen zum II. Teil

Literatur

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1.  Historische Voraussetzungen: Die soziale Situation im 12. Jahrhundert

Historische Veränderungen determinieren keine philosophischen Theoreme, sonst wäre das Denken unfrei und Wahrheit unmöglich. Philosophie ist aber nicht zeitunabhängig, sondern fasst ihre Zeit in Gedanken, sonst hätte sie keine Bedeutung in der Gesellschaft oder, was das Gleiche ist, die Gesellschaft hätte kein Bewusstsein über sich selbst. Genau dieses Selbstbewusstsein fordert Abaelard, wie der Titel seiner Ethik ausdrückt, auch wenn er diese Forderung nicht als erster aufgestellt hat. Die Kenntnis der historischen Bedingungen wird deshalb besonders für die praktische Philosophie zur Voraussetzung ihrer Beurteilung.

Im Mittelalter der karolingischen Zeit war die Landwirtschaft von freien Bauern, Hörigen und Sklaven  das Vorherrschende. Die handwerkliche Produktion war noch kaum von der Hauswirtschaft geschieden – mit Ausnahme vielleicht des Schmieds, der auch für die Waffenproduktion zuständig war. Der Adel versuchte zwar bereits das bäuerliche Mehrprodukt, falls eins da war, abzuschöpfen, lebte aber noch weitgehend von Fehden, Raub und der Eroberung fremder Gebiete. Er scharte reichere Bauernsöhne um sich, die Rüstung und Pferd sich leisten konnten, und vergütete ihre Treue durch Beteiligung an der Beute. Aus ihnen ging dann der Ritterstand hervor, dessen Tugenden vorwiegend militärische waren. Mit der Abrundung der Gebiete, der Eroberung letzter freier Flächen – die Kreuzzüge nach Jerusalem waren noch nicht erfunden – hatten die milites nur noch wenige militärische Aufgaben. Sie mussten aber ernährt werden, forderten wie bisher Teilhabe am Luxus des adligen Grundherren, dem sie die Treue geschoren hatten. Dieser ließ sie auf die Bauern los.

Sie führten quasi Krieg gegen die ländliche Bevölkerung, die sie zu höherer Produktivität zwangen, damit sie ein größeres Mehrprodukt für sich und ihren adligen Herrn abschöpfen  konnten. Das setzte voraus, dass auch bisher freie Bauern zu Hörigen oder Leibeigenen wurden. Trotz Gegenwehr und Bauernaufstände war fast die gesamte Landbevölkerung um das Jahr 1000 adligen Grundherren untertan. Die Feudalisierung der Landwirtschaft war damit abgeschlossen – bis zur Französischen Revolution und in Deutschland bis ins 19. Jahrhundert hinein. In dem Zusammenhang mit der Feudalisierung wurde die Zweifelderwirtschaft durch die Dreifelderwirtschaft abgelöst. Rein rechnerisch erhöhte sich dadurch die Ernte um ca. 16 %, tatsächlich war die Erhöhung größer, weil die Brache (die Hälfte des Ackerlandes in der Zweifelderwirtschaft) oft mehrere Jahre bestand. Nun aber reduzierte sie sich auf ein Drittel auch durch verbesserte Fruchtfolge. Das Kumt wurde eingeführt und erhöhte die Arbeitsproduktivität der Pferde. „Allem Anschein nach war in der Finsternis des 10. Jahrhunderts ein in tiefes Dunkel gehüllter Fortschritt der Landwirtschaftstechniken von den großen klösterlichen Domänen ausgegangen und hatte sich allmählich verbreitet. In der Folgezeit konnte er sich dann frei entfalten. Seine Entwicklung verhalf der Bauernschaft Schritt für Schritt zu wirksameren Geräten, besseren Pflügen, besseren Gespannen, eisernen Pflugscharen, die in der Lage waren, die Erde zu wenden, sie fruchtbarer zu machen, schwere Böden, die bis dahin unbewirtschaftet geblieben waren, zu bearbeiten und auf diese Weise die ständig bebauten Felder auf Kosten des Buschwerks auszuweiten, die Lichtungen zu vergrößern und bald auch neue zu erschließen, die landwirtschaftliche Fruchtbarkeit insgesamt anzuregen, so daß die Garben der Erntarbeiter fetter wurden.“ (Duby, Kathedralen, S. 14 f.)

Die Folge dieser Produktivitätssteigerung in der Landwirtschaft war, dass mehr Menschen das ganze Jahr über genug zu essen hatten. Mehr Menschen als bisher konnten für Handwerke und Handel von der landwirtschaftlichen Arbeit frei gestellt werden. Die Arbeitsteilung differenzierte sich. Vor allem aber erlebte Westeuropa einen Boom von Städtegründungen, der im 12. Jahrhundert, zur Lebenszeit Abaelards, einen Höhepunkt erreichte. Durch weit ausgreifende, wagemutige Händler wurde der Markt zum Mittelpunkt der Städte. Der einzelne Mensch, das Neue und Besondere wurden wichtiger. Der Fernhandel brachte neue Luxusprodukte für die Feudalherren ins Land. Durch den Handel setzte sich auch immer mehr das Geld als allgemeines Tauschmittel durch. Das zwang die Adligen, wenn sie von der Entwicklung profitieren wollten, zumindest teilweise das Mehrprodukt in Form von Geld einzutreiben, anstatt in Naturalien, was wiederum die Bauern zwang, für den städtischen Markt zu produzieren, wodurch das Ackerbürgertum zurückgedrängt wurde.

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Diese skizzierte Entwicklung verlief nicht geradlinig, wahrscheinlich ungleichzeitig und nicht vergleichbar mit heutigen Wandlungsprozessen. Abaelard jedenfalls war Teilnehmer und Mitgestalter dieses Prozesses der frühen Urbanisierung Europas – auf seinem Gebiet: der Philosophie. Die Differenzierung der Lebensweisen zwang zur Raffinierung der überkommenen christlichen Denkweise, die Ideologie der „drei Ordnungen“, das „Weltbild des Feudalismus“ (Duby, Ordnungen) entstand. Abaelard selbst stellt christliche Dogmen in Frage, zweifelt an anderen und begründet mit seinem Werk Sic et Non (Ja und Nein) die Bibelkritik, ohne aber mit der katholischen Amtskirche zu brechen, wie es einige ketzerische Richtungen taten, gegen welche die Kirche Kreuzzüge führte.

Das Eindringen des Geldverkehrs in alle Stände und Schichten erhöhte die Abstraktionskraft der Menschen, Verwaltungsbeamte wurden gebraucht, die Schulen konnten nicht auf die monastische Lebensweise beschränkt bleiben. Die Könige und Fürsten förderten deshalb die Gründung von städtischen Universitäten, aber auch erste Privatschulen in den Städten ermöglichten es jungen Leuten, die nicht zur Arbeit gezwungen waren, sich Bildung anzueignen. Neben der obligatorischen christlichen Bildung waren dies vor allem die freien Künste: Rhetorik, Grammatik (Literatur) und Dialektik (Logik). Gerade als Logiker war Abaelard eine Berühmtheit. Mit der Logik traf er einen Nerv der Zeit, weil diese Wissenschaft ein gesellschaftliches Bedürfnis nach rationaler Berechnung, durchsichtigeren Strukturen und gesichertem Wissen befriedigte.
Das brachte ihn einen riesigen Zustrom von zahlungskräftigen Schülern ein, sodass er Neid, Intrigen und Ketzervorwürfe seiner Kollegen auf sich zog.

„Zusammenfassend kann man sagen, daß in diesem Augenblick die urbane Lebenskraft endgültig und überall, nicht nur in Italien, den Sieg über die ländlichen Gegenden davongetragen hat. Diese blieben von nun an in Hinsicht auf ihre ökonomische Entwicklung immer Nachzügler. Der Bauern musste dem Bürger weichen und ihm die Rolle der vorwärtstreibenden Kraft überlassen. Bald zerbrachen auch die aus den älteren Geisteshaltungen resultierenden Widerstände in allen Kreisen der Avantgarde. Damals traten zwei Merkmale der Entwicklung zutage: zum einen eine Beschleunigung der Fortschrittsbewegung und zum anderen die Entstehung eines gemeinschaftlichen Raumes, der die gesamte römische Christenheit zusammenfasste und die drei geografischen Bereiche vereinte, die bislang durch tiefgreifende ökonomische Disparitäten voneinander getrennt gewesen waren. Dank der vielfältigen Handelsverbindungen und Verkehrswege konnte dieser Raum zu einer Einheit werden. Die Fortschritte der Geldzirkulation und des Tauschhandels hatten der Annäherung zwischen der südlichen Flanke, den unzivilisierten Zonen des Ostens und des Nordens und dem dichtbesiedelten bäuerlichen Kernland, in dessen Zentrum das Pariser Becken lag, langsam den Weg bereitet. Sie war ein Ergebnis erfolgreicher Handelsabenteuer.“ (Duby, Bauern, S. 345)

Gewiss, die städtische Ökonomie zu Abaelards Zeiten darf man nicht überschätzen. Noch Jahrhunderte lang beherrscht das Feudalsystem die Wirtschaft. Die Ideologie der „drei Ordnungen“ beginnt sich gerade erst zu verfestigen: Der Adel frönt den unbefangenen Genuss, körperliche Arbeit gilt ihm als unwürdig, seine Rolle in der Christenheit ist es, Peitsche Gottes zu sein, um die Bauern anzutreiben, ein Mehrprodukt zu erzeugen, das überhaupt erst Kultur ermöglicht. Das einzige Privileg des untersten Standes der Bauern, Handwerker und Händler ist es, zu arbeiten und den Reichtum für den Adel und die Kirche zu schaffen.

Und alles, auch gegensätzliche Interessen, werden gedeutet mit christlichen Begriffen, sowohl das Laster wie die Tugend finden ihren Maßstab im Religiösen. Abhängigkeit der Menschen von der Natur und Naturverfallenheit durch Krankheit und frühen Tod fördern diese irrationale Weltdeutung, der sich auch ein Abaelard noch nicht völlig entziehen kann, obwohl er den Vernunftmaßstab auch an die Religion legt und so eine Dialektik in Gang setzt, die im Atheismus der Aufklärung des 18. Jahrhunderts ihre Vollendung findet.
Der Klerus bildet den Rang nach den würdigsten Stand, ihre Bischöfe und Prälaten sind meist selbst Feudalherren und erfreuen sich des gleichen Reichtums wie die Fürsten und Könige, während die einfachen Priester oder Mönche die notwendig zu verrichtende Arbeit als Kasteiung betrachten, um dereinst eine gute Aufnahme im Jenseits zu finden.

Auch reich gewordene Händler, die schließlich zusammen mit dem städtischen Adel das Patriziat der Städte bilden, sind so tief religiös durchdrungen, dass sie ihren einmal erworbenen Reichtum für ihr Seelenheil der Kirche spenden oder in prächtigen Kirchen, den gotischen Kathedralen, verschwenden, wenn sie es nicht wieder in Grundstücken investieren, um für sich und ihre Nachkommen eine feudale Lebensweise zu sichern. Bedingt ist dieses Verhalten auch durch die mangelnde Möglichkeit, erworbenen Gewinn wieder in neue Geschäfte zu reinvestieren. Das, was Marx „formelle Subsumtion der Produktion unter das Kapital“ nennt, hatte gerade erst ansatzweise in den oberitalienischen Städten begonnen.

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Letzte Aktualisierung:  08.09.2009