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          Des Kaisers neue  Kleider 
          Die neurophysiologische Biologisierung der Gesellschaft 
          Über: 
          Christine Zunke: Kritik  der Hirnforschung. Neurophysiologie und Willensfreiheit, Berlin 2009 (Akademie  Verlag).
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          Der Angriff des Staates  auf die personale Identität
          Über: 
            Dominic  Streatfeild: Gehirnwäsche. Die geheime Geschichte der Gedankenkontrolle. Aus  dem Englischen von Andreas Simon dos Santos, Ffm. 2008. (Zweitausendeins)
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          Des Kaisers neue  Kleider 
          Die neurophysiologische Biologisierung der Gesellschaft 
          Über: 
          Christine Zunke: Kritik  der Hirnforschung. Neurophysiologie und Willensfreiheit, Berlin 2009 (Akademie  Verlag).
          Inhalt 
               
              Einleitung 
               
              Freiheit ist  nicht empirisch nachweisbar 
               
              Freiheit des  Bewusstseins als Freiheitsgefühl (gegen Habermas) 
               
              Die absolute  Freiheit als notwendige Bedingung rationaler Erkenntnisse 
               
              Determinismus-These  der Hirnforschung 
               
              Die  Erste-Person- und die Dritte-Person-Perspektive 
               
              Das  „Menschenbild“ der Hirnforscher 
               
              Die Ideologie  der Hirnforschung 
               
              Konsequenzen  für die Moral 
               
              Aporien des  reduktiven Physikalismus und dualistischen Idealismus 
               
            Das wahre  Verhältnis von Gehirn und Bewusstsein 
          = = = = = = = = = = = 
          Einleitung 
          Es gibt  inzwischen einige Bücher, welche die heutige Hirnforschung kritisieren. So etwa  das Buch von Cechura, das wir in unserem Film über die 13. Linke Literaturmesse  vorgestellt haben und das den Schwerpunkt auf die Ideologiekritik legt. Mit dem  Werk von Christine Zunke liegt aber nun ein philosophisches Werk vor, das  gründlich die Hirnforschung philosophisch auseinander nimmt und nach der  immanenten Kritik von deren Theoremen ihre ideologische Funktion nachweist. Die  Autorin bezieht sich auf den avancierten Stand der Vernunft, der nicht ohne die  Reflexion der kantischen und der hegelschen Philosophie auskommt. Allerdings  sind die bekannten Vertreter der Hirnforschung inzwischen soweit auf den  theoretischen Hund gekommen, dass sie noch nicht einmal mehr den Satz vom zu  vermeidenden Widerspruch für ihre Thesen beachten. Sie sind derart in ihrem  falschen Denken verstrickt, dass die Kenntnis der philosophischen Tradition nur  stören kann – auch wenn etwa in der Philosophie d’Holbachs schon einmal,  allerdings unter völlig anderen Umständen, ein Physikalismus des Denkens  vertreten wurde, aber eben auch von den Zeitgenossen und den Nachfolgern der  Aufklärung in Deutschland von Kant bis Hegel widerlegt wurde. 
          Kein Zweifel,  Hirnforschung ist legitim und notwendig (Zunke, S. 209). Und kein Zweifel, es  gibt seriöse Hirnforscher, die sich auf die naturwissenschaftliche Seite des  Gehirns konzentrieren und ihre Resultate nicht unzulässig verallgemeinern, sich  also nicht als Amateurphilosophen aufspreizen und nicht weit hinter dem  avancierten Stand der Vernunft zurückfallen und ihre Resultate nicht  ideologisieren. Da die Hirnforschung sich aber inzwischen als „Leitwissenschaft“ für die anderen  Wissenschaften aufspreizt, weil jeder Wissenschaftler auf sein Gehirn  angewiesen ist (wie einst die Sprachwissenschaft nach dem „linguistic turn“  meinte, die Philosophie ablösen zu können, weil auch diese die Sprache  benutzt), so ist eine Kritik der ganzen Richtung, insofern sie die  Öffentlichkeit beherrscht, notwendig. Konkret werden die Auffassungen von  Singer, Roth, Bieri, aber auch von Habermas und anderen kritisiert, die  ideologische Funktion der Naturalisierung und Biologisierung kultureller  Phänomene aufgedeckt und die jeder Wissenschaft vorausgesetzte Freiheit des  vernünftigen Denkens dagegen gesetzt. Christine Zunke legt mit ihrem Buch ein  Standardwerk zur Kritik der gegenwärtigen Hirnforschung vor. Sie zeigt, wie  philosophische Kritik gehen muss, um der Tendenz zur Pseudowissenschaft und  Ideologieproduktion entgegenzuwirken.  
            
          Das Werk ist in  zwölf Kapitel eingeteilt, in denen nicht nur die gängigen Theorien der  Hirnforscher kritisch beleuchtet werden, sondern ebenfalls verwandte  wissenschaftliche Richtungen wie etwa die Neuropsychologie, die  Neuroepistemologie, das „Menschenbild“, das der Behaviorismus und die Verhaltensforschung  zu Grunde legen und das von den Hirnforschern übernommen und modifiziert wird.  Allen gemeinsam ist die Biologisierung des menschlichen Geistes und die  Produktion von ideologischem Bewusstsein, das Zunke nach der Aufdeckung der  Widersprüchlichkeit dieser Theorien nachweist. 
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          Freiheit ist nicht empirisch nachweisbar 
          Die Autorin beginnt  ihre Kritik mit dem Aufweis, dass sich die Freiheit des Denkens und des Willens  nicht empirisch nachweisen lasse. Diesem Irrtum, Freiheit empirisch beweisen  oder widerlegen zu wollen, verfällt auch die Interpretation des Experiments von  Libet (die Erinnyen haben sich damit schon auseinandergesetzt, vgl. auch das Kapitel 7 bei Zunke). Naturphänomene  unterliegen den Naturgesetzen, können also nicht frei sein, ebenso ist der  Zufall keine Freiheit, sondern Freiheit ist eine Bestimmung der Vernunft und  wird allen empirischen Forschungen in Form des Bewusstseins der  Naturwissenschaftler  immer schon  vorausgesetzt. Zunke bestimmt sie so: „Freiheit ist keine Gegenmacht, keine  Kraft, die in Raum und Zeit gegen die Naturgesetze wirken können soll. Sie ist  vielmehr in dem menschlichen Vermögen, erkannte Naturgesetze zielgerichtet zu  nutzen, um innerhalb der Natur gemäß ihren erkannten Gesetzen diese nach selbst  gesetzten Zwecken zu formen. Das Setzen eigener Zwecke ist es, was nicht in der  Natur aufgeht, sondern auf die menschliche Vernunft verweist.“ (S. 21) Wenn die  Hirnforschung im Gehirn keine Freiheit findet und im Libet-Experiment das  Gehirn schon vor einem spontanen Entschluss aktiv ist (was einigen  Hirnforschern als Beweis gegen den freien Willen gilt), dann gibt Zunke den  Hirnforschern insofern recht, als es tatsächlich keinen empirischen Beweis geben  kann. Freiheit existiert aber dennoch, weil man sie aus der zweckmäßigen  Tätigkeit des Menschen erschließen kann. Die Hirnforscher haben einen Begriff  von Freiheit, der nicht mit dem der Philosophie übereinstimmt.  
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          Freiheit des Bewusstseins als Freiheitsgefühl  (gegen Habermas) 
          In diesem  Zusammenhang kritisiert sie auch Habermas, der von einer „naturbedingten  Freiheit“ spricht (S. 23). Dies ist unakzeptabel, weil Freiheit dadurch zur  bloßen Empfindung wird, also wieder etwas Naturbestimmtes. Es entsteht bei ihm  das Paradox, dass „ich mich selbst als Objekt wahrnehmen muss, um mich als  Subjekt zu wissen“ (S. 24). Während bei dem Hirnforscher Roth Freiheit nur eine  Illusion ist, die das Gehirn in uns erzeugt, ist bei Habermas die empfundene  Freiheit ihre tatsächliche Form (25). Gegen Roth und Habermas hält Zunke an  einem Begriff von Freiheit fest, der absolut, also bedingungslos, gedacht  werden muss. Anhand der kantischen Kategorienlehre weist die Autorin nach, dass  es keine wahren Erkenntnisse, keine Subjektivität gäbe, ohne ein Moment von  absoluter Freiheit im Bewusstsein.  
          Gegen das  Einschrumpfen der Freiheit auf Wahrnehmung bei Habermas wendet Zunke ein: „Weil  ohne Freiheit kein Subjekt wäre, beweist Subjektivität Freiheit – die Freiheit  entspringt nicht umgekehrt der Subjektivität. Nicht die heteronomen Bedingungen  des Subjekts bedingen die Freiheit, sondern die Freiheit bedingt das Subjekt,  das sich dann als empirisches unter heteronomen Bedingungen findet.“ (S.  27)   
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          Die absolute Freiheit als notwendige  Bedingung rationaler Erkenntnisse 
          Wissenschaft,  ebenso wie die Naturwissenschaften Physik, Chemie und Biologie, die Psychologie  und die Hirnforschung besteht aus Urteilen und ihre Verknüpfung durch Schlüsse.  Verbindungen von Subjekt und Prädikat im Urteil oder von zwei Urteilen, aus dem  ein drittes im Schluss folgt, lassen sich nicht empirisch beobachten, sondern  sind von Verstand und Vernunft  produziert. Diese logischen Formen (auch wenn man sie formalistisch als  Klassen von Elementen deutet) stehen unter den Kategorien wie Einzelheit,  Allgemeinheit, Relation, Substanz usw., Kategorien, die das Bewusstsein aus  seiner Selbsttätigkeit erschlossen hat, die also zu seinem wissenschaftlichen  Selbstbewusstsein gehören. Dieses ist nur rational als einheitliches, sodass  also mit Kant gesprochen alles unter der Einheit der Apperzeption steht – sonst  wäre unser Bewusstsein „weniger als ein Traum“ (Kant: Kr.d.r.V., A 112). Die  logischen Formen und die Kategorien sind ohne ein Moment von absoluter  Spontaneität des Denkens, d.h. ursprungslos (in naturwissenschaftlicher  Bedeutung), weil als Kausalität aus  Freiheit, nicht zu denken. Die Tatsache, dass wir sie denken, damit  Wissenschaft erzeugen, die zur Bedingung der Möglichkeit unserer heutigen  Existenz geworden ist, stellt den Beweis dar, dass unser Bewusstsein frei ist  und ebenso der Wille, der das innere wissenschaftliche Denken bestimmt, ein  absolut freier sein muss.  
          Diese  Argumentation ist nicht neu, sie findet sich schon bei Kant, auf den sich Zunke  auch explizit beruft, neu bei Zunke aber ist die konsequente Anwendung der  Einsichten von Kant und auch Hegel auf das falsche Bewusstsein Habermas’ und  der Hirnforscher.  
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          Determinismus-These der Hirnforschung 
          Nach Ansicht  der meisten Hirnforscher kann es keinen freien Willen geben. Roth sieht den  freien Willen als Illusion, die unser Gehirn uns vorgaukelt, damit wir besser  in der Umwelt überleben können. Tatsächlich aber wäre unser Gehirn dasjenige, was  uns steuert, ob wir wollen oder nicht. Singer geht noch einen Schritt weiter  und wendet diesen Gedanken auf die Gesellschaft an, die demnach ein neues  Rechtssystem bräuchte, da von individueller Schuld nicht mehr gesprochen werden  könnte. Zwar müsse man weiterhin Verbrecher einsperren, um die Gesellschaft zu  schützen, aber nicht weil diese Schuld auf sich geladen hätten, sondern um ihre  Nervenbahnen im Gehirn umzukanalisieren oder neue zu erzeugen, die ein  nichtkriminelles Verhalten zur Folge hätten.  
           Bei all diesen wilden Spekulationen von Singer  und Roth, wird das Gehirn, also ein Gegenstand der Naturwissenschaften, als das  Erzeugende des Geistigen (als Illusion) behauptet, zugleich soll das Gehirn  selbst aber auch nicht das Subjekt des Geistes, sondern selbst determiniert  sein. „Der ‚distributiv organisierte Wettbewerb’, in dem die Erregungsmuster  spezifischer Verschaltungen sich gemäß einer naturgesetzlichen Ordnung bewegen  und in spezifischen Reaktionen des menschlichen Organismus resultieren, wird  unvermittelt zu ‚dem Gehirn’, das ‚Prioritäten auch selbst’ und ‚oft unbewußt’  setzen kann. Dies ist kein sich wiederholender Flüchtigkeitsfehler Singers und  auch nicht auf sprachliche Ungenauigkeit zurückzuführen. Vielmehr verweist dies  auf einen Widerspruch, in den Singers Theorie (und die vieler anderer  Neurobiologen) unweigerlich führen muss; denn das als mit den bekannten  Naturgesetzen unvereinbar identifizierte übergeordnete Subjekt ermöglicht erst  die objektive Naturerkenntnis, welche Singers Theorie zugrunde liegt.“ (S. 49) Dieses  übergeordnete Subjekt wird aber zugleich geleugnet, was ein Grundwiderspruch  der Neurobiologie ist. 
          Die Konsequenz  aus dem Versuch, Bewusstsein auf naturkausale Prozesse im Gehirn zu reduzieren,  führt zwangsläufig zur These von der Determiniertheit auch des Bewusstseins und  Selbstbewusstseins des Menschen und damit auch das Abstreiten eines freien  Willens. „Bewusste Gründe erscheinen bei Singer als ‚nachträgliche  Rationalisierungen’ eines deterministischen Geschehens.“ (S. 51) Ähnlich  argumentiert Roth, für den die Freiheit des Bewusstseins „ein funktionaler  Schein“ ist, „der zur Motivation von bestimmten Handlungen diene“ (S. 88). Ein  Bewusstsein aber, das determiniert ist, hätte in sich keine Möglichkeit auf das  Verhältnis von Begriff und Sache, also auf die Wahrheit der Aussagen zu reflektieren,  es könnte also auch gar nicht behaupten, dass die Aussage: Unser Bewusstsein  ist determiniert, wahr ist. Roth ist immerhin so konsequent anzuerkennen, dass  unser Bewusstsein als ein bloßes Konstrukt des Gehirns die objektive Realität  nicht erkennen könne – was ihn aber nicht hindert, seinen Determinismus als  objektive Erkenntnis zu verbreiten. Bereits seine Aussage, dass unser Gehirn  uns täusche, setzt mit dem Begriff der Täuschung den der Wahrheit voraus. Er  leugnet also wahre Aussagen und setzt sie zugleich voraus. Er verfällt dadurch der  Kritik am Skeptizismus, die schon in der Antike bekannt war, „denn die These,  es sei wahr, dass es keine Wahrheit gebe, ist notwendig widersprüchlich“ (S.  134).  
          Solche  Widersprüche hindern die Hirnforschung allerdings nicht für ihre  Pseudowissenschaft (diese ist sie, soweit sie sich nicht auf die Erforschung  der natürlichen Funktionen des Gehirns beschränkt, sondern ihre  Partikularwissenschaft zur Totalitätswissenschaft aufspreizt) Forschungsgelder  und Lehrstühle zu verlangen. Dass sie diese auch von den Politikern zugeschoben  bekommen, deutet auf die ideologische Funktion hin, die solche Thesen wie die  von der Determiniertheit des Bewusstseins und der Leugnung des freien Willens  haben.  
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          Die Erste-Person- und die  Dritte-Person-Perspektive 
          Manche Widersprüche  kann man lösen, indem man sie in einen Gegensatz aufteilt. Den Widerspruch  zwischen materiellem Gehirn und Bewusstsein versucht die Hirnforschung zu  lösen, indem sie zwischen der Ersten-Person- und der Dritten-Person-Perspektive  unterscheidet, also der Innenperspektive,  die nur dem jeweiligen Ich zugänglich ist, das   Gegenstand der Psychologie ist, und der Außenperspektive auf das Gehirn, wie es Gegenstand der  Neurophysiologie ist. Doch diese Unterscheidung führt nicht nur zu einem naiven  Realismus, sie verstößt nicht nur gegen die Einheit des Bewusstseins als  Voraussetzung aller Erkenntnisse, sondern auf diesem argumentativen Trick  beruht ein weiterer Kardinalfehler der Neurophysiologie: Die Korrelation zwischen  Gehirn und Bewusstsein ist nur vom Bewusstsein her bestimmbar, obwohl es das  abgeleitete sein soll. So will die Hirnforschung z.B. Krankheiten heilen, aber  welches limbische System als krankhaft gilt und welches als gesund, lässt sich  nur aus der Erste-Person-Perspektive erkennen, die doch nur eine Illusion sein  soll, die das Gehirn erzeugt. Im Übrigen ist die sogenannte  „Dritte-Person-Perspektive“ selbst nur eine der Ersten Person, da  wissenschaftliche Aussagen nicht einfach empirisch vorliegen, sondern immer  erschlossen bzw. Verallgemeinerungen sind.  
          „In der  Trennung in die Erste- und die Dritte-Person-Perspektive zerfallen  Subjektivität und Objektivität zu zwei unvermittelbar getrennte Sphären. Damit  wird nicht nur der Psychologie de facto der Anspruch auf Wissenschaftlichkeit  abgesprochen, sondern die wissenschaftliche Erkenntnis selbst wird vom  empirischen Subjekt abgekoppelt, ohne dass ein Begriff entwickelt werden  könnte, auf den sich die Objektivität der Erkenntnis gründen ließe.“ (S. 108) Kein  Hirnforscher hat bisher im Gehirn Kategorien, logische Formen, Begriffe oder  auch nur eine Vorstellung gefunden – und doch soll wunderbarerweise das Gehirn  als materielles Gebilde diese Bestimmungen jeder Wissenschaft erzeugen. Wer das  Wunder glaubt, wird im wissenschaftlichen Mainstream selig.  
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          Das „Menschenbild“ der Hirnforscher 
          Dem  Physikalismus und Biologismus der Hirnforschung liegt ein bestimmtes  „Menschenbild“ zugrunde: Das Verhalten des Menschen sei durch die Natur und ihre  Evolution festgelegt, unser Bewusstsein und der Wille seien unfrei und werden  von dem Gehirn determiniert bzw. illusioniert, ohne dass dieses Gehirn als  materielles Gebilde selbst Subjekt sein soll. Der Mensch könne sich nur in  Demut der jeweiligen Gesellschaft anpassen (vgl. S. 63), so wie er sich der  Natur anzupassen habe. Gesellschaft erscheint so als Natur, als ein „Produkt  des Zusammenspiels vieler Gehirne“ (S. 63). Die Demutsgeste des  „Menschenbildes“ – selbst ein Begriff, den die Hirnforschung verwendet – hält  diese aber nicht davon ab, ihre technischen Machbarkeitsfantasien auszubreiten.  Dabei setzt die Hirnforschung die Leistungsgesellschaft ebenso voraus, wie die  Leistungsanforderungen der kapitalistischen Gesellschaft fraglos hingenommen  werden, ohne nach deren Grund zu fragen. Im Gegenteil, solche Fragen nach  sozialen Gründen werden abgebogen durch Verweis auf die Gehirntätigkeit. Die  Hirnforschung bietet ihre Dienste an, durch „Neuro-Enhancement“ die  Leistungsbereitschaft des einzelnen Gehirns mit teuren Behandlungen zu  steigern, eine Behandlung, die allerdings den Glauben bei ihren Kunden an den  Physikalismus, der sich noch dazu das Lernen ersparen will, voraussetzt. Der  Mensch ist nach dieser „wissenschaftlichen“ Auffassung das, zu dem er im  Kapitalismus tendenziell gemacht wird, kaum anderes als ein Hampelmann einer  unbegriffenen Gesellschaft und ihrer blind wirkenden ökonomischen Gesetze.  
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          Die Ideologie der Hirnforschung 
          Dass konsequent  die Zwänge des kapitalistischen Konkurrenzkampfes den einzelnen angelastet werden,  versteht sich von selbst. Die Biologisierung der Subjekte verwischt die Grenzen  zwischen Natur und Kultur, wie sie seit der Entstehung der Philosophie erkannt  wurden und wie sie auch der bürgerlichen Gesellschaft mit der vorausgesetzten  Freiheit der Bürger zugrunde gelegen haben und auf dem Papier der  Verfassungsurkunden noch immer zugrunde liegen. „Wenn die Hirnforschung ihre  Ergebnisse dahingehend interpretiert, zu sagen, der Mensch täusche sich über  seine Freiheit, so ist dies zum einen falsch und zum anderen ideologisch. Indem  sie ideologisch ist, unterliegt die These vom unfreien Willen nicht einem  bloßen Irrtum, sondern enthält ein wahres Moment über die Verfasstheit der  bürgerlichen Gesellschaft in verkehrter Gestalt, in diesem Fall in Gestalt der  Naturalisierung eines gesellschaftlich hergestellten Zustands. Die Berufung der  bürgerlichen Gesellschaft auf Freiheit dient dieser Gesellschaft in ihrer  Konstitution als Legitimation von moderner Herrschaft. Darum ist die Freiheit  der bürgerlichen Gesellschaft keine wahre Freiheit. Deswegen ist der Mensch  jedoch kein unfreies Wesen, sondern deswegen ist diese Gesellschaftsform zu  kritisieren.“ (S. 189) Der Gesellschaftskritik soll durch die Hirnforschung von  vornherein die Legitimation entzogen werden. 
          „Die Leugnung  der Willensfreiheit postuliert so die bestehenden Verhältnisse als einzig  mögliche und darum richtige – und entzieht ihnen dabei zugleich ex post die  wichtigsten Ingredienzien ihrer politischen Legitimation, indem sie ihre  Entstehung faktisch als Naturgeschichte liest. Mit ihrer Biologisierung  verlöscht die Möglichkeit, Gesellschaft zu begreifen und so ein  Selbstbewusstsein der historischen Subjekte zu bilden. (…) Zugleich wird jedes  politische Streben nach einer vernünftigen Gesellschaft als einer Realisierung  der Freiheit jenseits von Herrschaft, ohne die Härte des Eigentums und der  Verwertung des Werts, endgültig zum Kuriosum.“ (S. 188) Diese ideologische  Konsequenz macht die Hirnforschung bei den affirmativen Politikern so beliebt.  
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          Konsequenzen für die Moral 
          Die Kritik der  Fehler der Hirnforschung und die ideologische Funktion dieser Wissenschaft darf  aber nicht wie bei der „Marxistischen Gruppe“ dazu führen, das „Allgemeine bloß  als Mittel und die Vernunft bloß als Instrument zu begreifen“ (S. 179, Anm.  25), denn mit diesem rein instrumentellen Verhältnis zur Vernunft wird ebenso  die menschliche Freiheit geleugnet und auf bloße Willkür reduziert. „Die  Verkehrung der Freiheit besteht nun darin, dass der die Gesellschaft  formierende Zweck im Kapitalismus in der Verwertung des Wertes besteht, und  nicht im Menschen als Zweck an sich selbst. Damit steht der die partikularen  Zwecke formierende Zweck den partikularen Zwecken gegenüber; denn in seiner  Würde ist jeder Mensch sich selbst Zweck, wogegen die kapitalistische  Produktionsweise ihn zum bloßen Mittel formiert. So zeigt sich das allgemeine  Moment der Freiheit dem Einzelnen als ihm aufgeherrschter, heteronomer Zweck.  Als empirisches Moment der Freiheit bleibt nur der eingeschränkte Zugriff der  Willkür auf die produzierten Waren, d. i. die Freiheit des Konsumenten.“ (S.  178 f.) Das Allgemeine wie die Änderung der herrschaftlich verfassten  Gesellschaft kann so nicht als Zweck erscheinen. Diesen Zweck können nur  vernünftige Subjekte aus sich begründen und in ihrer politischen Praxis  verwirklichen. Dass sie dies theoretisch können, liegt in ihrer  Erkenntnisfähigkeit und ihrer Autonomie begründet. Deshalb gehört zur Wahrheit  einer Erkenntnis und der Kritik falscher und ideologischer Theorien immer auch  ein Subjekt, das moralisch bestimmt ist.  
          Während das „Menschenbild“ der Hirnforschung den  Menschen auf seine naturalen Eigenschaften reduziert und ihn durch die Natur  als determiniert denkt, setzt wahre Erkenntnis immer ein Unbedingtes im  Bewusstsein voraus, das auch Grund für einen Begriff vom Menschen als eines moralischen Wesens ist. „Denn die  Würde des Menschen ist weder eine Organeigenschaft des homo sapiens sapiens  noch gründet sie in der empirischen Vernunft eines einzelnen Menschen, sondern  Würde hat der Mensch, weil er der Menschheit angehört, die unter dem  Sittengesetz stehen kann, d. i. die ein moralisches Ideal hervorbringt, dessen  Gesetz allein aus Freiheit, d. i. aus Vernunft entspringt. Nur durch diese  transzendentale Bestimmung der Würde ist ‚Mensch’ nicht bloß ein Artbegriff  neben anderen, sondern enthält das Moment eines Unbedingten, weil die Menschen  nicht nur in der Reproduktion ihrer Art, sondern als Menschheit zugleich  moralisch aufeinander bezogen sind.“ (S. 62)  
          Soll die Freiheit  des Menschen ihn nicht bloß im Denken zukommen, so muss er sie in der Welt der  Sinnenwesen realisieren. Als freies Wesen kann der Mensch nur vernünftig  handeln, wenn er sich als Zweck an sich selbst bestimmt und eine Gesellschaft  einrichtet, deren Zweck die Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen ist –  dies widerspricht aber dem Zweck der kapitalistischen Gesellschaft, der  Verwertung des Werts, einer Gesellschaft, die aus ihren Mitgliedern bloße  Mittel zu diesem entfremdeten Zweck macht und der die Hirnforscher ideologische  Handlangerdienste leisten. 
          Nichtsdestotrotz  bleibt die Frage offen, wie das Verhältnis von Physis/Gehirn einerseits und  Bewusstsein/Geist andererseits rational zu begreifen ist. In den letzten  Kapiteln ihres Buches geht Christine Zunke von ihrer Position (der  materialistischen Dialektik) auf diese Frage ein. 
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          Aporien des reduktiven Physikalismus und  dualistischen Idealismus 
          Wenn Zunke den  falschen, weil reduktiven, Physikalismus der Hirnforschung kritisiert, dann  muss sie selbst eine Vorstellung von dem Verhältnis von Denken und Gehirn  haben. Der steile Materialismus von Roth behauptet, das Denken habe seine  hinreichende Bedingung in der neuronalen Tätigkeit des Gehirns, es sei  grundsätzlich naturwissenschaftlich bestimmbar. Wäre dem so, dann wäre auch  dieser Gedanke, dass Denken durch die materielle Gehirntätigkeit determiniert  sei, eine Hervorbringung des Gehirns – so wie alles Denken (vgl. S. 207). Aus  dieser Konstruktion des Bewusstseins folgt: Alles, was wir wissen, denken, vorstellen,  konstruieren, anschauen und fühlen ist eine elektrochemische Erzeugung unseres  Gehirns – und damit ist alle Wirklichkeit und jede Art Wirklichkeitsbewusstsein  bloß in unserem Kopf, durch uns hervorgebracht, bloße Vorstellung und damit  Schein. Der strikte Materialismus der modernen Hirnforschung erweist sich als  steiler Idealismus, nämlich als Solipsismus. 
          Außerdem könnte  ein derart durch neuronale Prozesse hervorgebrachtes Bewusstsein bzw. seine Vorstellungen  nicht als wahr bestimmt werden. Denn ohne Freiheit gegenüber seinem  elektrochemischen Determinismus könnte das Bewusstsein das Verhältnis von  Vorstellung, Gedanke oder Begriff nicht an der Sache überprüfen und damit als  wahr oder unwahr bestimmen, denn diese Überprüfung wäre selbst determiniert. Wir  wären ohne Selbstbewusstsein, bloß ein Hampelmann unseres Gehirns und wüssten von  uns aus nichts darüber, hätten also auch keine wahre oder falsche Hirnforschung  und damit auch keine Determinismusthese. 
          Muss man eine  qualitative Differenz zwischen Bewusstsein und den elektrochemischen Prozessen  aufmachen, dann liegt es nahe, das Bewusstsein, den Geist des Menschen als  abgesonderte Entität zu hypostasieren, d.h. eigenständig und unabhängig vom  Gehirn und seinen gedachten Gegenständen erscheinen zu lassen. Eine frühe Form  dieses Idealismus ist Platons Ideenlehre. Als hypostasierte Entität muss der  Geist des Menschen aber dennoch auf das Gehirn und damit auf den Körper des  Menschen einwirken können. Da aber nur Körperliches auf Körperliches einwirken  kann, muss dieses hypostasierte Bewusstsein zugleich materiell sein. Der steile  Idealismus eines abgesonderten Geistes, also der Dualismus von Geist und  Materie, konsequent zu Ende gedacht, erweist sich als kruder Materialismus. „Denn  wird der Geist als Entität hypostasiert, der eigenständig und unabhängig vom  Material tätig sei und zugleich auf dieses einwirke, so erhält er eine  Wirklichkeit in Zeit und Raum, die ihn der Sache nach selbst zu einem  physikalischen Gegenstand macht, der somit nicht etwas qualitativ anderes als  das Gehirn wäre.“ (Zunke, S. 208) Jede dualistische Theorie, wenn sie zur  Vermittlung von Geist und Körper fortschreitet, was sie muss, will sie einen  Bezug zur menschlichen Praxis aufzeigen, verfällt dieser Aporie, als Geist  nicht-materiell und abgesondert zu sein und doch zu behaupten, aufs Materielle  Einfluss nehmen zu wollen.  
          Das menschliche  Denken kann aber bei den Aporien des physikalischen Materialismus und des  steilen Idealismus nicht stehen bleiben. Andererseits wissen wir, dass Freiheit  nur durch den Geist und nur im Material wirklich werden kann, wovon die  Umgestaltung der Erdoberfläche und jede neue Erfindung genügend anschauliche  Beispiele liefert. (Vgl. Zunke, S. 208) Christine Zunke schlägt deshalb  folgende Bestimmung des Verhältnisses von Geist und Materie vor, die sie die  „Antinomie von Gehirn und Geist“ nennt und die „konstitutiv für das Menschsein“  sein soll (S. 201).  
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          Das wahre Verhältnis von Gehirn und  Bewusstsein 
          Fakt ist, wenn  wir denken, finden neuronale Prozesse im Gehirn statt, diese lassen sich mit  naturwissenschaftlichen Methoden nachweisen und erforschen, da es materielle  Prozesse sind. Nun ist das Bewusstsein, die Vorstellung und der begriffliche  Gedanke, nicht materiell. So kann das Denken z.B. Zwecke setzen, die es noch  gar nicht in der objektiven Realität gibt, ein zunächst bloß Imaginäres kann  aber nicht materiell sein. (So ist auch die Naturwissenschaft Bewusstsein und  nichts Materielles, ein herunterfallender Stein (materiell)  ist etwas anderes als Gravitation (ein  Begriff des Bewusstseins).) Zunke weist mit Kant darauf hin, dass es auch in  der biologischen Natur unabhängig vom Menschen Zwecke gibt, teleologische  Prozesse, deren Telos z.B. in einem Samenkorn, aus dem dann eine Pflanze wird,  wirksam ist, obwohl es als Telos nicht materiell ist und also auch nicht mit  den Methoden der Naturwissenschaft erkannt werden kann. „Dieser Zweck kann,  wenn man ihn biologistisch fasst, eingeordnet werden als evolutionär zum Zweck  der verbesserten Reproduktion entstanden. Diese ‚Erklärung’ des Mentalen geht  dann auf den teleologischen Naturzweck, die innere Zweckmäßigkeit, nach der  jedes Lebewesen funktional auf sein eigenes Leben und die Fortpflanzung hin  geordnet ist. Auch diese Funktion ist ein innerer, ein unmaterieller Zweck, der  über dem Material steht als es ordnendes Prinzip.“ (S. 201 f., Anm. 17) 
          Ebenso hat das  begriffliche Denken das Allgemeine zum Gegenstand, jeder aus der Empirie  abgeleitete Begriff fasst das Allgemeine an konkreten Gegenständen einer Art, den  vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen – insofern ist er unendlich sowie  raum- und zeitlos. Unendliches, Zeitloses und Raumloses kann aber nicht  materiell sein. Das menschliche Denken muss deshalb als immateriell gedacht  werden, als geistiges Bewusstsein (wobei Geist nichts anderes bedeutet, als dass sich ein individuelles Bewusstsein zu  allgemeinen Erkenntnissen hocharbeitet, die auch andere Menschen denken und die  dadurch ein kollektives Bewusstsein darstellen, terminologisch als Geist bestimmt).  
          Wenn man also  notwendig Geist annehmen muss und zugleich alle geistigen Tätigkeiten an  Gehirnfunktionen, also materielle Prozesse gebunden sind, dann kann man dieses  Verhältnis nur als nicht-determinierende  Korrelation fassen. 
  „Denken  bezeichnet dagegen keine neuronale Organfunktion (auch wenn ihm solche  korrelieren), sondern im weitesten Sinne tätiges Bewusstsein, wie  beispielsweise das Begreifen neuronaler Funktionen; es liegt im Denken,  Begriffe zu bilden und zu verknüpfen. Damit ist es zum einen auf Erscheinungen  verwiesen, die ihm sinnlich gegeben werden und die es begreift, zugleich gehen die  Begriffe als Abstraktionen über jede Erscheinung hinaus. Zudem lassen sich  Begriffe von nichtsinnlichen Gegenständen bilden, so dass Denken durch  Reflexion einen Begriff von sich selbst bilden kann. Den Geist oder das Denken  als immateriell zu bezeichnen ist daher nicht falsch, jedoch dann irreführend,  wenn suggeriert wird, dass es eine eigenständige Existenz unabhängig vom  Material habe. Die Annahme einer geistigen Entität  gegenüber einer von ihr gänzlich abgetrennten  materiellen, führt zu den klassischen Fehlern des Zwei-Welten-Dualismus; das  Leugnen einer wesentlichen Differenz zwischen Denken und neuronalem Geschehen  führt zu den Fehlern des Reduktionismus der Identitätstheorien.“ (Zunke, S.  202) 
          Diese  Auffassung setzt voraus, dass die Korrelation zwischen Denken und  Gehirntätigkeit keine eindeutige ist. Wäre die Korrelation zwischen Denken und  Gehirntätigkeit eindeutig, dann hätte der reduktive Physikalismus (S. 97) eine  gewisse Berechtigung, tatsächlich zeigen die Resultate der Hirnforschung: Ein  mentaler Zustand kann grundsätzlich „durch eine unbestimmte Anzahl  verschiedener neuronaler Zustände realisierbar“ sein (Zunke, S. 97). Zwar  lassen sich bei einfachen psychischen Zuständen wie Angst oder das Sehen von  Dingen bestimmte Hirnregionen ausmachen, die dadurch erregt sind. Für komplexe  geistige Vorgänge gilt dies aber nicht. Der gleiche Gedanke erzeugt nicht nur  bei verschiedenen Menschen an verschiedenen Hirnregionen Cluster (Netz von  Erregungszuständen), sondern auch bei ein und denselben Menschen, wenn er zu  verschiedenen Zeiten einen gleichen Gedanken denkt, verschiedene Orte, wo sich  die Cluster nachweisen lassen.  
           Die „Neuropsychologie, welche per definitionem  die Schnittstelle zwischen Gehirn und Psyche und damit die Art der Vermittlung  von den Analyseebenen der Ersten und Dritten Person zum Gegenstandsbereich  haben sollte, zeigt in ihren Ergebnissen deutlich, dass nur der Schluss vom  Mentalen auf ein neuronales Korrelat als dessen empirisch erkannte notwendige  Bedingung, jedoch nur nachfolgend in Analogie der Schluss von einer  spezifischen Materialeigenschaft auf vermutete psychische Phänomene möglich  ist. Ein Schluss allein vom neuronalen Material auch nur auf die Existenz  irgendeines mentalen Zustandes ist dagegen völlig unmöglich. Denn kein  neuronaler Mechanismus kann als hinreichend für einen psychischen Zustand  bestimmt werden, weshalb sich die Psyche des Menschen nicht aus seinem Gehirn  begreifen lässt, sondern andersherum Funktionszusammenhänge des Gehirns durch  den Bezug auf die menschliche Psyche erst als Funktionen erkannt werden können  (…)“ (S. 100 f.) 
          Das bedeutet,  Denken korreliert mit Erregungszuständen im Gehirn, insofern gibt es kein Denken  ohne Materie, aber diese Korrelation lässt sich – bei komplexen Gedanken –  nicht an bestimmten Stellen des Gehirns lokalisieren. 
            Wenn gilt:  Bewusstsein und Gehirn sind notwendig wesensverschieden und zugleich, dass  Bewusstsein nicht ohne Materielles (Gehirn, Gegenstände des Bewusstseins)  existieren kann, dann bleibt als offene Frage, wie Materielles auf das  Bewusstsein wirkt und das Bewusstsein auf Materielles.  
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          Christiane  Zunke hält diesen Zusammenhang  grundsätzlich für nicht bestimmbar. Es sei eine Antinomie zwischen  Materiellem, das der Naturgesetzlichkeit unterliege, und dem Denken, das als  prinzipiell frei bestimmt werden müsse. „Etwas – Geist – geht in etwas anderes  – Leiblichkeit – über. Aber dieser Übergang ist ohne jede Vermittlung, er ist  unmittelbar. Nach dem Wie zu fragen ist müßig, die Unmöglichkeit einer  befriedigenden Antwort ergibt sich aus dem oben dargestellten antinomischen  Verhältnis von Ideellem und Materiellem, deren Gegensätzlichkeit unaufhebbar  ist, weil sie nur gegeneinander bestimmbar sind (Ideell ist, was kein Material  hat, et vice versa).“ (S. 203) 
          Weiter schreibt  Zunke: „Wenn das Gehirn der Naturkausalität unterliegt und die Vernunft sich  selbst das Gesetz geben kann, also frei ist, dann ist es unmöglich, dass eine  naturwissenschaftlich bestimmte Schnittstelle zwischen Gehirn und Geist erkannt  werden kann, da ersteres kausal  determiniert und letzterer frei ist.“ (S. 204, Hervorhebung von uns) Wir  sind bisher den Ausführungen von Christine Zunke gefolgt, hier scheint uns  jedoch eine kritische Anmerkung nötig. Die Autorin übernimmt Kants Gedanke, das  Naturmaterial (als Erscheinung im Bewusstsein) sei „kausal determiniert“. Dies  ist aber nicht akzeptabel. Wenn das Material des Denkens und Willens „kausal  determiniert“ gedacht wird, dann hätte – abgesehen von allen  Vermittlungsauffassungen – der freie Wille keine Möglichkeit, sich im Material  zu realisieren, ob nun im Gehirn, z.B. bei einer medizinischen Operation, oder  anderswo. Mit Hegel muss dagegen gesagt werden, dass der Zufall notwendig  angenommen werden muss. Zunke deutet dies an anderer Stelle auch an (vgl. S. 19).  Nur unter der Voraussetzung der Bestimmbarkeit des Materials (vgl. S. 206) kann  das Denken sich im Material realisieren, das setzt aber voraus, dass es nicht  durchgängig bestimmt ist und ein Moment des Zufalls enthält – nicht aber  „kausal determiniert“ gedacht wird. Die Totalität des Naturzusammenhangs ist  etwas anderes als die aus ihm isolierten Naturgesetze, nur letztere kann man  als determiniert bestimmen, und sie wirken auch nur unter extremen  Randbedingungen derart. Nach Zunke lässt sich das Problem lösen durch die  Differenz von Erscheinung und Ding an sich (vgl. S. 206), aber diese ist selbst  aporetisch (vgl. zuletzt Kuhne: Selbstbewusstsein und Erfahrung bei Kant und  Fichte, besonders S. 163 ff.)  
          Wenn das  Material der menschlichen Tätigkeit „bestimmbar“ ist (S. 206),  dann kann es nicht kausal determiniert sein,  ist es aber kausal determiniert, dann wäre lediglich das Denken frei, ohne  Macht sich zu realisieren, dann könnten einige   Hirnforscher recht haben mit ihrer These, alles sei determiniert. Bei  Zunke zeigt sich hier eine unkritische Nähe zur kantischen Philosophie, denn  dies sind Widersprüche der kantischen Erkenntnistheorie. Auch ihre  Schlussfolgerung ist problematisch: Da wir nur erkennen können, weil wir freie  Wesen sind, „die sich selbst Zweck sein können“, folgt nicht zwingend: „und  darum auch sein sollen.“ (S. 62) Eine solche Schlussfolgerung verweist  lediglich auf ein Ideal, nicht aber auf eine realistische Möglichkeit, jedenfalls  solange man nicht angeben kann, dass die soziale Wirklichkeit selbst in diese  Richtung drängt – dass dies nicht der Fall ist, darin ist sich Christine Zunke  mit der Hirnforschung einig (vgl. das obige Zitat, S.189 unter „Ideologie“),  nur dass sie diese Tatsache bedauert und kritisiert, während die Hirnforscher die  gesellschaftliche Beschränkung der Willensfreiheit affirmieren und ideologisch als  natürliche rechtfertigen.  
          Abgesehen von  diesen Einwänden, die nicht ihre Kritik an der falschen Hirnforschung schmälern,  und unter der Voraussetzung der Bestimmbarkeit des Materials menschlicher  Tätigkeit (die sie selbst annimmt (S. 206) – entgegen ihrer Formulierung,  Materielles sei kausal determiniert), stimmen wir ihrer Schlussfolgerung zu: Der  Mensch ist „Einheit von Gehirn und Geist“, ein vernunftbegabtes Sinnenwesen.  Für die Willensfreiheit ist  sowohl die  Sinnlichkeit wie das Vernünftige und Ideelle konstitutiv. „Die Vorstellung, der  Mensch sei auf der einen Seite frei in seiner Vernunft und auf der anderen  Seite bedingt in seiner Sinnlichkeit, ist darum grundfalsch. Ein rein aus  Vernunft bestimmter Wille wäre als reiner Wille ausschließlich durch den  Kategorischen Imperativ bestimmt – und damit ohne möglichen Bezug auf gegebenes  Material, das Gegenstand seines Wollens sein könne. Erst indem der Mensch sich  seine aus der Sinnlichkeit entspringenden Bedürfnisse als Zwecke setzen kann,  hat er die Möglichkeit, anders als rein moralisch, d. i. anders als leer, zu  handeln – und damit überhaupt zu handeln.“ (204) Damit dies Handeln nicht durch  das verselbständigte Subjekt dieser Gesellschaft, den ökonomischen Mechanismus,  auf die entfremdete Freiheit im mehr oder weniger großen Konsum von Waren  restringiert wird, daran arbeiten kritische Wissenschaftler wie Christine  Zunke. 
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