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3.  Die Entdeckung der menschlichen Subjektivität bei der Erkenntnis: Nominalismus

Die Entstehung der Städte und die Ausweitung des Handels erzeugten erste Formen des Handelskapitals. Der Händler kauft von zünftigen Handwerkern oder feudalen Grundbesitzern oder ihren Bauern Güter auf, transportiert sie und verkauft sie teurer als der Preis für den Produzenten und die Transport- und Verkaufskosten waren. Vereinfacht lässt sich dies in der Formel ausdrücken:

Geld → Güter als Waren → Geld + Gewinn

Zweck dieser Operation ist nicht die Befriedigung von Bedürfnissen und seien es Luxusbedürfnisse wie beim feudalen Produzenten, sondern der Gewinn. Aus Geld wird mehr Geld, also ist dieses Geld Kapital, Wert, der sich vermehrt. Doch ist diese erste Form des Kapitals noch keine kapitalistische Produktionsweise, also noch kein Kapitalismus – weder in der Antike noch im Hochmittelalter, weil die Produktion selbst noch den Kaufmannskapital als äußerliche gegenüber steht, noch nicht durch das Kapital real subsumiert ist. Die Bauern produzieren Getreide noch für ihre Bedürfnisse und die ihrer Herren – und verkaufen ihre Überschüsse u. a. an die Händler. Die Handwerker produzieren Güter für ihre Kunden, meist auf deren Bestellung hin, ihre Preise sind politische Preise, keine, die sich aus dem freien Spiel des Marktes ergeben. Die Händler vermitteln nur die Güter. Das Verhältnis von Handelskapital zu den Gütern, die es vermittelt, bleibt ein äußerliches, wie im Nominalismus die Wörter (sermones) zu den Dingen, die sie bezeichnen.

„Dieses frühkapitalistische Verhältnis von Kapital und Arbeit ist aber nominalistisch. Das Allgemeine, das Kapital als Handelskapital hat mit dem Besonderen, den gehandelten Gütern, keine innere Wesensverwandtschaft. Der Wert der in die Zirkulation eintretenden Waren ist nicht in der Produktion bestimmt, sondern eine nachträgliche Zutat des Zirkulationsprozesses. Seine Bestimmung ist insofern zufällig, letzthin nicht durch rationale Gesetzmäßigkeit, sondern durch Gewalt gesetzt. Er stellt wie ein nominalistisch konzipierter Begriff eine Fiktion dar, die auf kein fundamentum in re bezogen ist. Diesen Verhältnissen ist eine nominalistische Theorie angemessen.“ (Mensching, Nominalistische, S. 67)

Wenn nun Abaelard ein Begründer des führen Nominalismus ist, dann ist dies wahrscheinlich durch die Entstehung der Städte und des Handelskapitals bedingt, aber nicht determiniert. Es lag nahe, eine solche Sprachtheorie als Reflex auf die neue Ökonomie der Städte zu entwickeln, aber dazu bedurfte es des „Genies“ eines Philosophen wie Abaelard, seinen theoretischen Wagemut, seine Streitlust und auch seines Ehrgeizes, um nicht zu sagen seiner Ruhmsucht, die noch durch die Konkurrenz unter den Privatdozenten um die Gunst der Studenten geschürt wurde und die er später aus christlicher Demut heraus bereut hat. Bereut hat er jedoch nie die Resultate seines Denkens – trotz zweier Ketzerprozesse und Verurteilungen.

Bei allen Varianten des Universalienrealismus wird die Substanzialität der Universalien (Allgemeinbegriffe) behauptet. Mythologisch stellt sich dies so dar: Gott hat bei der Erschaffung der Welt das anfängliche Tohuwabohu durch sein Wort, den Logos, strukturiert. Da auch der Mensch von Gott geschaffen wurde, hat er die Fähigkeit mitbekommen, diesen ontologischen Logos in seinem Bewusstsein als Abfolge von Begriffen abzubilden. Das Allgemeine bildet die Substanz des Besonderen, das Individuelle ist zum Unwesentlichen herabgesetzt, es hat kein wahres Sein, da es veränderlich und vergänglich ist. Wahres Sein haben nur die Universalien, die ewig bestehen. Tatsächlich aber werden die Universalien durch Abstraktion aus den Einzeldingen gewonnen, setzen diese also zumindest für die Erkenntnis des Allgemeinen voraus. Und wenn das Allgemeine die Substanz des Besonderen ist, dann entsteht das entscheidende Problem des Universalienrealismus: „Wenn nämlich das empirische Einzelding unmittelbare Einheit von Universalität und Singularität sein soll, so bleibt die Beziehung beider ungeklärt, denn das Universale ist das Überempirische; seine reale  und nicht nur durch das menschliche Denken konstituierte Spezifikation  und Individuation bleibt ein mysteriöser Prozeß.“ (Mensching: Allgemeine, S. 63 f.) Der Nominalismus löst das Problem zunächst, indem er dies Verhältnis in das Denken verlegt, sodass es ontologisch nur noch Singularitäten gibt und alles Universale allein im Denken existiert.

Abaelard hat seine nominalistische Position vor seiner Ethik entwickelt, sie ist die metaphysische Grundlage seiner Moralwissenschaft. Die Kritik an einem neuplatonischen „Begriffsrealismus“, der das selbständige Sein der Universalien (Allgemeinbegriffe) unabhängig von den Einzeldingen behauptete (universalia sunt res), setzt auch bei Abaelard an dem in dieser Auffassung nicht lösbaren Problem an, wie die Beziehung zwischen Universalien und Einzeldinge, die Teilhabe der Einzeldinge an den Universalien, rational zu begründen ist.

Partikularisiert sich die mittelalterliche Welt in Territorialstaaten oder in Stadt und Land mit unterschiedlichen Wirtschaftsweisen, dann wird der Begriff der Teilhabe (partizipatio) der Einzeldinge am Allgemeinen und dieses selbst fragwürdig und muss neu begründet werden. Diese historische Veränderung motiviert das Denken zur immanenten Kritik des „Begriffsrealismus“. Die Frage, wie ein Allgemeinbegriff im Bewusstsein entsteht, muss entweder rational oder irrational gedacht werden. Irrational ist die Berufung auf den Glauben an die Autorität Gottes; da dessen Offenbarung der Deutung bedarf, wird die Vernunft notwendig zur Auslegung Gottes. Dies ist ein Gedanke, der Abaelards Theologie beherrscht, so vor allem in seiner Schrift Sic et Non. Vernünftig ist die Beziehung der vielen Einzelnen zum Allgemeinen aber nur durch Abstraktion von dem Besonderen der Einzeldinge einer Art zu begründen, sodass die Universalien zu Produkten des Denkens werden.

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Diese Konsequenz ziehen die Nominalisten, wenn sie wie Roscelin (etwa 1050 – 1120), einer der Lehrer Abaelards, die Universalien zum bloßen Laut (vox, flatus vocis) erklären. Sind die Allgemeinbegriffe keine Begriffe mehr, sondern nur noch Namen (nomen) oder Laute, dann stellt sich in diesem extremen Nominalismus das inverse Problem, was diese willkürlich gebildeten Laute mit den Dingen außerhalb des Bewusstseins zu tun haben. Abaelard kritisiert Roscelins Ansicht von den Universalien als bloße vox, weil auch der Laut selbst bloß ein Einzelding ist, sodass eigentlich nichts Allgemeines mehr gedacht werden könnte und dadurch begriffliche Erkenntnis unmöglich würde. Abaelard nennt den Allgemeinbegriff deshalb „sermo“ oder „nomina“ (allerdings teilweise dadurch motiviert, nicht in Schwierigkeiten mit der Kirche zu kommen, die Roscellins Lehre verdammt hatte). „Sermo“ ist das Wort seiner significatio (Beziehung, Bedeutung) nach, während „vox“ das Wort seiner physikalischen Existenz nach ist. Das Wort (sermo) bezeichnet eine Vorstellung (conceptus) oder einen Gedanken (intellectus), der wiederum die Dinge (res) außerhalb des Bewusstseins erfasst, während vox als Laut etwas Individuelles ist, das nicht mit mehreren Dingen verbunden werden kann.

Abaelard hält an der von Roscelin u.a. erkannten logischen Selbstständigkeit des menschlichen Denkens fest, ohne in den im extremen Nominalismus angelegten Subjektivismus zu verfallen. Um diesem zu entgehen, muss er das fundamentum in re, das Fundament in den extramentalen Dingen, der Vorstellungen und des Denkens klären. Er unterscheidet zwischen dem modus subsistendi und dem modus intelligendi. Indem der Verstand von der Gesamtwirklichkeit der Dinge durch Abstraktion die allgemeinen Bestimmungen dieser Dinge isoliert, begründet er die Differenz dieser Modi. Das Allgemeine hat als solches keine Wirklichkeit für Abaelard, wohl aber wird den Einzeldingen ein Allgemeines zugedacht, das durch Abstraktion zum Bewusstsein gelangt (nulla res set aliquit in rem – keine Sache aber als ob in der Sache). Obwohl Abaelard die meisten Schriften von Aristoteles nicht gekannt hat, arbeitet er mit seine Lösung des Universalienproblems der aristotelischen bei Thomas von Aquin vor. Die Übereinstimmung (convenientia) der Einzeldinge ist zwar keine res, wohl aber etwas Reales, das Abaelard „status“ nennt. So stimmen alle Menschen durch ihr Menschsein (status hominis) überein. Der Status der Dinge ist die gemeinsame Ursache für die Zuteilung des nomen universalis an die Einzeldinge, obwohl die causa für dieses Nomen nicht immer die Dinge zu sein brauchen, d.h., z.B. auch ein Negatives oder ein ethischer Gedanke kann causa eines nomen universalis sein.

Eine metaphysische Voraussetzung der nominalistischen Theorie von Abaelard ist die prinzipielle Vernünftigkeit der objektiven Realität, die durch Gottes Schöpfung begründet ist und der Abstraktionsleistung des denkenden Subjekts die prinzipiell mögliche Erkennbarkeit dieser bewusstseinsunabhängigen Wirklichkeit garantiert. Seine nominalistische Auffassung zeigt sich aber gerade darin, dass Notwendigkeit nicht den Einzeldingen oder ihrem Status zukommt, sondern allein der Verknüpfung von Subjekt und Prädikat im Urteil.

Wie allerdings der außerhalb des Bewusstseins angesiedelte Status vom Bewusstsein überhaupt zu denken ist, denn im Bewusstsein haben wir nach Abaelard nur die Abbilder (forma) der Einzeldinge, beantwortet Abaelard nicht. Die Konsequenz seines Nominalismus tendiert aber auf die Bewusstseinsimmanenz unserer Erkenntnisse. Der dadurch dem Denken unterstellte Grad der Autonomie überträgt er dann auch auf die für ihn höchste Form der Philosophie, die Ethik (vgl. Kucia, S. 223).

Wie bei der Erkenntnis der Welt das denkende Subjekt durch seine logische Leistung diese erfasst, so ist es eine Leistung des moralischen Subjekts, zwischen Sünde und vollkommener Tugend zu unterscheiden. Die Verinnerlichung der Moral ist nicht die der neuplatonischen Überhöhung des menschlichen Geistes als gottverwandten, sondern Konsequenz der nominalistischen Position Abaelards. Wenn Notwendigkeit nur den Urteilen zukommt, nicht aber den Dingen selbst, dann kann eine auf dieser metaphysischen Grundlage bestehende Ethik Sünde auch nur in einer bewusstseinsimmanenten Beziehung denken – oder sie geriete mit ihrer metaphysischen Grundlage in einen Widerspruch. Dass dies nicht so ist, zeigt die logische Konsequenz des Denkens von Abaelard. Moralische Wahrheit besteht in der praktisch notwendigen Relation zwischen dem, was wir glauben, es sei eine gute Absicht entsprechend dem göttlichen Gebot, und der Bestimmung des Willens durch diese gute Absicht. ‚Gut’ ist „in sich richtig“ (rectam in se dicimus, Ethica, S. 66/Luscombe, S. 52), sie liegt nicht in den Werken. Der recta voluntas ist dann unterschieden von der moralischen Unwahrheit oder Sünde, dem peccatum, das theologisch in der Verachtung Gottes (contemptus die) besteht.

 Dies wirkt sich bei der inneren Zustimmung zu einer Handlung aus, worin für Abaelard die Moralität besteht: Wir haben notwendigerweise einen guten und einen bösen Willen, zwischen denen wir uns entscheiden müssen. Er fragt in seiner Ethik, was wir tun sollen, wenn wir wissen, wir dürfen etwas keinesfalls tun, der böse Wille uns aber drängt, es dennoch zu tun – etwa einer verbotenen erotischen Verführung zu erliegen, einen unerlaubten Vorteil zu ergaunern oder gegen den Heiligen Geist (als Ausdruck der Vernunft) zu verstoßen? Seine Antwort bezieht sich auf den inneren Kampf im Individuum: „Was ist, wenn dieser Wille durch die Tugend der Beherrschung gebremst, aber dennoch nicht ausgelöscht wird, so daß er weiterkämpft und im Wettstreit ausharrt und nicht nachläßt, aber trotzdem besiegt unterliegt? (…) Damit es sich wirklich um einen Kampf handelt, muß es einen Gegner geben, der Widerstand leistet, nicht einen, der völlig zugrunde geht (dann wären wir Engel und keine Menschen, B.G.). Dieser Gegner ist tatsächlich unser böser Wille, über den wir triumphieren, wenn wir ihn dem göttlichen Willen unterordnen.“ (Ethica, S. 15) Gut ist dabei immer etwas im Inneren der Person.

Abaelard nimmt in dieser Konstruktion des guten und bösen Willens den Gedanken von Kant vorweg, dass allein ein guter Wille rein als „gut“ bestimmt werden kann, weil die äußerlichen Handlungen immer durch die Situation, die Gesellschaft, Materielles usw. geprägt sind, die nicht völlig in der Macht des Individuums liegen (vgl. G.M.S., S. 18/BA 1). Abaelard drückt dies so aus: „Eine Intention nenne wir gut, d.h. in sich richtig, aber eine Handlung nennen wir nicht gut, weil sie etwas Gutes in sich aufnimmt, sondern weil sie aus einer guten Intention stammt. Deshalb wird auch, wenn derselbe Mensch zu verschiedenen Zeiten dasselbe vollbringt, seine Handlung aufgrund der verschiedenen Intentionen einmal gut und das andere Mal schlecht genannt, und sie scheint zwischen gut und schlecht zu wechseln.“ (Ethica, S. 67)

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Letzte Aktualisierung:  10.09.2009