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9.  Moral und Herrschaft

Moral wird in dem Moment in der Geschichte der Herrschaftsverhältnisse notwendig, in dem die soziale Differenzierung einen Grad erreicht hat, der die Gesellschaft zu sprengen droht und auch die Auskunft der unmittelbaren Gewalt nicht mehr ihre innere Kohärenz gewährleistet (3). Die Einführung der Moral, d.h. explizit ausgesprochener Gebote und Verbote – im Gegensatz zur teilweise noch unbewussten traditionellen Sitte, entfaltet nun eine Dialektik zwischen Herrschenden und Beherrschten, der sich Abaelard wohl bewusst ist. Halten sich die Herrschenden nicht an die von ihnen propagierte Moral, dann folgen ihr auch nicht die Beherrschten und sie ist zwecklos, die Gesellschaft fällt zurück in die offenen Gewalt, die Herrschaft wird zur „Tyrannei“ (vgl. Abaelard: Gespräch, S. 273), Moral wird zur bloßen Herrschaftstechnik, die eher schadet als dem inneren Frieden dient:  „Deshalb geschieht es, daß der sich gerade der Macht des Bindens und Lösens beraubt, der sie nach seinem Belieben und nicht für die Sitten der Untergebenen ausübt.“ (Ethica, S. 151) Zugleich betont Abaelard immer wieder, dass ungerechte Behandlung kein Grund wäre, gegen die Herrschaft aufzubegehren, was das tatsächliche Aufbegehren andeutet. (Vgl. Ethica, S. 157)

Geben die Herrschenden vor, sich an die Moral, z.B. den Dekalog, zu halten, dann wird die Moral zum Maßstab der Kritik an Herrschaft oder Macht, die sich nicht an die Moral hält, eine Kritik, wie sie bei Abaelard ausführlich genutzt wird: „Es gibt auch einige Priester, die ihre Untergebenen nicht so sehr aus Irrtum als aus Habsucht täuschen; so erlassen oder vermitteln sie die auferlegten Bußstrafen für eine Geldspende, wobei sie nicht so darauf achten, was der Herr will, sondern was das Geld wert ist. Über diese beklagt sich der Herr selbst durch den Mund des Propheten: Meine Priester haben nicht gesagt: Wo ist der Herr?, als wollte er sagen: Aber sie haben gesagt: Wo ist das Geld? Wir wissen, daß nicht nur die Priester, sondern auch die Führer der Priester, die Bischöfe, sich unverschämt nach dieser Habsucht verzehren.“ (Ethica, S. 139)

Andererseits fordert Abaelard auch von den Beherrschten, dass sie sich anpassen und  Herrschaftsverhältnisse, zu denen es zu seiner Zeit noch keine realistische Alternative gegeben hat, zu akzeptieren haben. Abaelard macht dies an einem Fall deutlich: Ein Leibeigener, der von seinem grausamen Herrn in blinder Wut mit dem Tod bedroht wird und der zunächst flieht, dann aber doch aus Notwehr seinen Herrn tötet, sei nur dadurch der Sünde schuldig, dass er innerlich der Aufnahme einer Waffe, die dann zur Tötung führt, zugestimmt hat. (Vgl. Ethica, S. 11) Zwar will Abaelard hier nur auf den Unterschied zwischen der Tat, die moralisch neutral ist, und der inneren Zustimmung, von der allein moralische Schuld abhängt, hinweisen, aber indirekt sanktioniert er die Feudalordnung. Abaelard versucht die Konsequenzen seiner Auffassung mit den herrschenden feudalen Verhältnissen zu harmonisieren. Da auch der Leibeigene ein Geschöpf Gottes ist und ein Recht auf Leben hat, müsste eigentlich seine Notwehr gegen die Willkür des Herrn gerechtfertigt sein, wie es z.B. im jüdischen Gesetz festgelegt ist. Ebenfalls gilt moralisch die gleiche Norm für alle Menschen. „Gott setzt die Strafe eines jeden nach der Größe der Schuld fest. Die ihn auf gleiche Weise geringschätzen, werden dann auf gleiche Weise bestraft, ohne Rücksicht auf Stellung oder Beruf.“ (Ethica, S. 57) Um aber dieser Konsequenz zu entgehen, verteidigt Abaelard zwar die momentane Flucht, nicht aber das Ergreifen der Waffe wider den Herrn – entgegen der Logik seiner Argumentation, die die moralischen Prinzipien auf alle gleich anwendet. Die göttliche Wahrheit: „Jeder, der das Schwert ergreift, wird durch das Schwert umkommen.“ (Ethica, S. 11), gilt nur für den Knecht, da der Herr die Waffe mit der Erlaubnis der Obrigkeit trägt.

Außerdem wird an dieser Stelle Recht und Moral nicht klar auseinander gehalten. Wenn es moralisch ist, die Gesetze zu befolgen, dann müsste geklärt werden, ob die Gesetze denn moralisch sind – sonst kommt man zu widersprüchlichen Konsequenzen. Diese Klärung leistet Abaelard nicht, weil er das gegebene Recht und die gottgegebene Moral als Maßstab heteronom unterstellt (vgl. aber die Einschränkungen daran unter „6. Maßstab“.)

Damit Moral von den Beherrschten akzeptiert wird, kann sie aber nicht nur festschreiben, was ist, und dieses soziale Sein stabilisieren. Zumindest eine religiös oder philosophisch begründete Moral enthält immer auch einen metaphysischen Überschuss, der die bestehenden Verhältnisse transzendiert und das Bewusstsein der Moral weiter entwickelt. Eine folgende Epoche kann nicht hinter diese Einsichten zurückfallen, will sie ihre neue Moral schlüssig für die Zeitgenossen begründen. Bei Abaelard ist es der Gedanke der Moralität, der dann seine Wirkung in den nächsten Jahrhunderten entfalten wird. Auch sein oberstes Prinzip der „Nächstenliebe“/Solidarität überschreitet eigentlich schon die gerade sich durchsetzende Ständegesellschaft. Wenn dem größten Teil der Gesellschaft alle Mühsal aufgebürdet wird, der andere Teil allein das Mehrprodukt genießen kann, dann hat die Struktur der Verhältnisse mit Nächstenliebe nichts mehr zu tun. Auch direkt spricht er soziale Missetaten an: „Ziemlich viele sehen wir täglich, wenn sie im Sterben liegen, sorgenvoll plärren, sich heftig wegen Wucher, Raub, Ausbeutung der Armen oder sonst einer begangenen Ungerechtigkeit anklagen und einen Priester zur Vergebung dieser Verbrechen rufen.“ (Ethica, S. 99)

Trotz Bildungsmonopols von Klerus, Adel und Bürgertum, trotz kirchlicher Indoktrination über die Kanzeln und trotz des letzten Auskunftsmittels, dem Schwert, war der Gedanke auch der sozialen Gleichheit immer virulent im Volk. Das zeigt der Spruch der Bauern im deutschen Bauernkrieg: „Als Adam grub und Eva spann, wo war denn da der Edelmann?“ Er zielt auf soziale Gleichheit ebenso wie die Vorstellung von Joachim von Fiore und Thomas Münzer vom Himmelreich auf Erden, der Kampf der englischen Levellers und die Schriften von Babeuf zur Zeit der Französischen Revolution. Bei Abaelard ist diese Utopie noch nicht eine konkrete, sondern seinem christlichen Milieu entsprechend ins Jenseits imaginiert. Er lässt seinen CHRIST schwärmen: „Jene Schau der göttlichen Majestät selbst wird für uns das unerschöpfliche Licht sein, die höchste Heiligkeit, die fortwährende Ruhe, der Friede, der jeden Sinn überwältigt, schließlich alles Gute, die ganze Tugend, die ganze Freude. Wenn also Gott so alles in allem sein wird, dann steht es fest, wie derselbe Apostel sagt, daß jede Herrschaft und Macht abgeschafft ist, wenn jene Macht offenbar bereits durch sich selbst herrschen wird, die alle Güter, wie gesagt, durch die Schau ihrer Gegenwart allen Auserwählten mitteilen wird. Schon wird keine Engel- oder Menschenherrschaft bei irgendeinem Dienst, keine Macht in irgendeinem Königtum uns lenken, weil nichts wird fehlen können, sobald alles in allem Gott sein wird, sobald, wenn anwesend sein wird, was vollkommen ist, abgeschafft wird, was Stückwerk ist.“ (Gespräch, S. 247) Selbstverständlich gehört dazu auch ein neuer Leib, der nicht krank werden kann, dem wir im Paradies annehmen, damit uns nicht die Sinne des Körpers fehlen.

Eine Gesellschaft ohne Herrschaft ist für Abaelard zu seiner Zeit aufgrund der erst mangelhaft entwickelten Produktivkräfte nicht im Diesseits vorstellbar. Abschaffung von Herrschaft hieße zu seiner Zeit Abschaffung des Mehrprodukts und damit die Abschaffung von Kultur und der Möglichkeit des Fortschritts. Indem er aber die Idee eines herrschaftslosen Zustandes ins Jenseits verlegt, erhält er zumindest den Gedanken daran aufrecht und bewahrt so diese Idee für die Zukunft auf. Auch wenn diese abstrakte Utopie illusionär ist, so enthält sie den Gedanken an die Möglichkeit einer Gesellschaft ohne Gewalt, Macht und Herrschaft. Eine notwendige Voraussetzung einer gewaltfreien Gesellschaft – bei entsprechenden gesellschaftlichen Verhältnissen – ist die Moralität der Individuen. Deren stichhaltige Begründung ist die Leistung Abaelards in der Geschichte der Ethik.

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Letzte Aktualisierung:  08.09.2009