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6. Der moralische Maßstab von Abaelard, das Gewissen und die Tugendlehre

Zugestanden, der Maßstab Abaelards, an dem die innere Zustimmung beurteilt werden kann, ist heteronom vorgegeben. Es sind das „natürliche Sittengesetz“ und der Dekalog, die er seiner Moralphilosophie voraussetzt. (4) Auch die Absicherung der Moral, die in Gottes Lohn und Strafe besteht, ist heteronom. Nichtsdestotrotz setzt Abaelard auch in diesem Bereich seiner Ethik neue Akzente.

Das „natürliche Sittengesetz“ kommt allen Menschen zu, nicht nur den Christen. Der (muslimische, an der griechischen Philosophie geschulte) Philosoph bestimmt es in Abaelards Toleranzschrift „Gespräch eines Philosophen, eines Juden und eines Christen“ dahingehend, das es „in der Liebe zu Gott und zum Nächsten besteht“ (Gespräch, S. 37). Abaelard zitiert zustimmend den Apostel: „Das gesamte Gesetz vollendet sich in einem Satz: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ (Ethik, S. 35) Und in derselben Schrift an anderer Stelle: „Die Liebe sucht nicht, was ihr eigener Vorteil ist; und etwas vorher: Niemand suche das Seine, sondern was dem anderen dient.“ (S. 93) Es versteh sich von selbst, dass mit „Liebe“ nicht die romantische Liebe oder ein anderes überschwängliches Gefühl gemeint ist, sondern das, was während der Französischen Revolution „Brüderlichkeit“ und heute „Solidarität“ heißt und bei Kropotkin als „gegenseitige Hilfe“ definiert wird. (5)
Ansonsten sind es die zehn Gebote, auf die Abaelard als Maßstab rekurriert. Das Gesetz „ist allerdings fromm, gänzlich mit der Vernunft vereinbar und ebenso der göttlichen Güte wie dem menschlichen Heil angemessen, anzunehmen, Gott heget so sehr Sorge um die Menschen, daß er es für wert erachtet, sie auch mit der Schrift des Gesetzes zu unterweisen und unsere Bosheit wenigstens durch die Furcht vor Strafen zu unterdrücken.“ (A.a.O., S. 27) (6)

Da es aber für Abaelard auch einen Fortschritt in der Theologie gibt (vgl. Gespräch, S. 99), vor allem sich Regeln oder Gesetze widersprechen (a.a.O., S. 101) und die Vernunft entscheiden muss, werden nicht nur die Gesetze der jüdischen Lebensweise suspendiert, wie es das Christentum ermöglicht, sondern bei Abaelard wird der Akzent von den Verboten (du sollst nicht…) auf die Nächstenliebe verschoben, nach Hebr. 7, 18/19: „Das vorhergehende Gesetz wird nämlich abgeschafft wegen seiner Schwäche und Unbrauchbarkeit; denn das Gesetz hat nichts zur Vollkommenheit gebracht; sondern die Einführung einer besseren Hoffnung ist es, durch welche wir zu Gott kommen.“ (Zitiert nach: Gespräch, S. 103)

Gewissen

Das Bewusstsein (consciencium) von dem moralischen Maßstab der Nächstenliebe und des Dekalogs ist aber kein neutrales Wissen, das man hat, ohne dass aus ihm Konsequenzen für den Einzelnen folgen. Gemäß der Aufwertung des Individuums, die sich in der inneren Zustimmung zur Tat ausdrückt, modifiziert sich das Bewusstsein des moralischen Maßstabs zum Gewissen (consciencium), auch wenn Abaelard dafür noch keinen extra Ausdruck kreiert. Das Gewissen ist bei ihm nichts Willkürliches oder Individuelles, da es den vernünftigen Maßstab in sich trägt. Im Gewissen ist sich das Individuum seiner selbst gewiss. Ein Handeln gegen das Gewissen ist für Abaelard ein „Handeln wider besseres Wissen“ (Mensching: Moralität, S. 430): „In der Konsequenz der Ethik Abaelards liegt vielmehr, daß die Sünde zugleich den Abfall des im Gewissen bei sich selbst seienden Subjekts von sich selbst, letzthin die Negation des Prinzips von Autonomie darstellt. Glaube oder Unglaube sind hierfür von untergeordneter Bedeutung. Die Verachtung Gottes, in der Abaelard zufolge theologisch die Sünde bestehen soll, ist subjektiv der Abfall des vernünftigen Selbstbewusstseins von sich, seine Preisgabe gegenüber der Heteronomie. Die Schwäche des Charakters, das vitium animae, besteht in der mangelnden Konsequenz, das als wahr Erkannte bei gegebener äußerer Freiheit auch im Handeln zu befolgen.“

Wenn die Sünde in der Verachtung Gottes besteht, die wir durch die Einwilligung in das Böse (Ethica, S. 71), die Zustimmung zur Verletzung der moralischen Gebote, begehen, dann ist unser Gewissen die Instanz in uns, die uns vor der Sünde warnt oder uns zur eigenständigen Reue bekehrt. „Deswegen sagt der Apostel: Wenn wir mit uns selbst ins Gericht gingen, dann würden wir nicht gerichtet. Das bedeutet: Würden wir selbst unsere Vergehen bestrafen oder korrigieren, dann müssten sie von Gott keineswegs härter bestraft werden. Wirklich großartig ist das Erbarmen Gottes, wenn er uns mit unserem eigenen Urteil verzeiht, um uns nicht mit einem härteren zu bestrafen.“ (Ethica, S. 137) Das Gewissen als die individuelle Quelle der Moral, die dennoch objektiv an den vernünftigen Moralregeln orientiert ist, hat auch theologische und soziale Konsequenzen. „Indem er das Gewissen zur Quelle der Moralität erhebt, wird das Bußsakrament und damit indirekt die universale Kirche als Spenderin des Heils überflüssig; denn die Absolution erteilt sich das Individuum innerlich selbst.“ Mensching: Moralität, S, 431)

Denjenigen jedoch, die nicht auf ihr Gewissen hören, die ihr übriges Bewusstsein in Widerspruch zum Gewissen, dem Bewusstsein der Moralprinzipien bringen, fügen nicht nur sich selbst Schaden zu (vgl. Ethica, S, S. 57), sondern ihnen droht Abaelard mit der Strafe Gottes, der alles sieht, alles hört und alle Gedanken kennt (vgl. Ethica, S. 109), im Diesseits wie im Jenseits. Man kann letzteres so deuten, dass in dem Moment, wo das mehr oder weniger autonome Gewissen nicht wirksam ist, eine heteronome Instanz qua Furcht (vgl. Ethik, S. 103) von außen das Gewissen stärken und Reue, das seufzende Herz und den zerknirschten Schmerz ob der Untat (vgl. Ethica, S. 123), hervorrufen muss. Dies ist ein weiteres heteronomes Moment in Abaelards Ethik. Allerdings ist der strafende Gott als Veräußerlichung des Gewissens tatsächlich selbst nur eine Vorstellung im Bewusstsein, sodass, dies einmal erkannt, das Gewissen entweder zur unbewussten Stimme der Gesellschaft im Individuum, also heteronom wird, oder als bewusste praktische Vernunft einen Teil der moralischen Person bildet, die zur inneren Autonomie fähig ist. Realistischerweise ist ein solcher Gott, der alle Gedanken kennt, doch nur das Selbstbewusstsein als Gewissen, die Strafe im Diesseits die Verachtung der Mitmenschen und nach dem Tode der schlechte Ruf, der dem Toten, der zu Lebzeiten unmoralisch war, nachhängt.

Tugendlehre

Entsprechend dem von Abaelard bestimmten Grad der Autonomie des Individuums ist für ihn die oberste ethische Tugend die Selbstbeherrschung. Sie muss die inneren und äußeren Anfechtungen zur Sünde abwehren und wächst mit dieser Abwehr – ohne den Gegner besiegen zu können, denn die sinnlichen inneren Versuchungen gehören zur Natur des Körpers und die äußeren gesellschaftlichen zum Wesen des Zusammenlebens. „Was sich gegen die Anfechtungen durchhält, ist das Subjekt, das sich gegen seine eigene innere Natur und gegenüber der Welt außer ihm autonom setzt. An die Stelle der traditionellen Aszese ist gleichsam eine Triebökonomie getreten; denn das Individuum ist Abaelard zufolge erst Subjekt, wenn es sich den Anfechtungen konfrontiert sieht. Weder darf es ihnen nachgeben, noch darf es sie gänzlich meiden. Hier kündigt sich die Einsicht an, daß das autonome Individuum nur durch das Andere seiner selbst bei sich ist“ (Mensching: Moralität, S. 430 f.): „Weil wir ja manchmal ohne einen bösen Willen moralisch falsch handeln, und der böse Wille selbst, wenn er gebremst, nicht ausgelöscht wird, denen, die ihm widerstehen, den Siegespreis gibt und ihnen die Gelegenheit zum Kampf und die Krone des Ruhms liefert, so soll man den bösen Willen selbst nicht eine moralische Verfehlung, sondern eine schon notwendige Schwäche nennen.“ (Abaelard: Ethica, S. 9)

Die „Mutter aller Tugenden“ ist für Abaelard die Klugheit, die aber selbst keine Tugend ist. (Er kennt noch nicht die ethischen Schriften von Aristoteles, also auch nicht dessen Unterscheidung von dianoetischen und ethischen Tugenden.) Klugheit ist eine „Vernunfthaltung“, die Ursprung und Erzieherin (Gespräch, S. 177) der Tugenden ist. Sie ist das Selbstbewusstsein der Tugenden, da sie diese von den Lastern zu unterscheiden vermag. Da alle Tugenden auch zu schlechten Zielen genutzt werden können, setzt die Klugheit auch die vernünftigen Ziele für die Tugenden, sie ist deren „Maß“ (a.a.O., S. 177). Auch die ethischen Tugenden werden von Abaelard auf die in seiner Ethik konzipierte innere Autonomie bezogen. So ist die Tapferkeit als ein „bedachtes, d.h. vernünftiges Ertragen von Heimsuchungen und Durchstehen von Gefahren“ (a.a.O., S. 175) bestimmt. Die Ehrfurcht ist jener Teil der Gerechtigkeit, „durch den wir innerlich bereit sind, allen den geschuldeten Respekt zu erweisen“ (S. 179). Tugend allgemein wird als „Geisteshaltung“ definiert: „Die Philosophen meinen ja, nur das soll in uns eine Tugend genannt werden, was eine optimale Geisteshaltung oder eine Haltung einer gut verfassten Vernunft zum Ausdruck bringt.“ (Ethica, S. 163)

Mit dem offensichtlichen Bezug der Tugenden auf die innere Disposition des Individuums wird dieses auch durch die Tugendlehre Abaelards, die allerdings wenig ausgeführt ist, gestärkt. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass seine Tugendlehre nicht systematisch in der „Ethik“ („Scito te ipsum“) entwickelt wird, sondern beiläufig in einigen Schriften angesprochen wird, was den Unterschied seiner Moralphilosophie, welche die innere Entscheidung des Individuums betont, zu einer Sittenlehre, die sich wie die aristotelische auf das gesellschaftliche herrschende Ethos gründet, hervorhebt und verdeutlicht.

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Letzte Aktualisierung:  13.09.2009