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Kritik moralischer Heuchelei - selbst als Heuchelei
Wie ein Ethikverband der Deutschen Industrie mit Moral umgeht
Der Konkurrenzkampf verschärft sich in der Krise: Unternehmen gegen Unternehmen, Kapitale gegen die Lohnabhängigen, Regierung gegen einzelne Unternehmer, Parteien gegen ihre Rivalen, Medieneigner gegen ihre kritischen Journalisten. Moral hätte in dieser Situation nur Berechtigung, wenn sie zumindest minimal über den Interessen stünde, um den Konkurrenzkampf in den üblichen kapitalistischen Bahnen zu halten. Sie wäre dann eine ideelle Existenzbedingung dieser Ökonomie (Marx), als bloßes Kampfmittel aber unterminiert sie diese ideelle Existenzbedingung, weil sie deren allgemeine Geltung verletzt.
Doch in dieser aufgewühlten Situation, die noch durch Wahlkämpfe verschärft wird, arbeitet moralische Kritik mit „Totschlagargumenten“ (alle Zitate siehe Ausriss), wie ein „Ethikverband der Deutschen Wirtschaft“ mit dem Brustton der Überzeugung räsoniert. Er kritisiert - wenn denn der Redakteur der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ) die Verlautbarungen richtig wiedergibt - die gegenwärtige Diskussion um die Managerhaftung, die nach den Willen der Bundesregierung per Gesetz auf bis zu ein Jahresgehalt festgeschrieben werden soll. Durch solch eine Regelung werde – und nun wörtlich der Verbandsvorsitzende Ulf Posé – „unter dem Deckmantel der Ethik in die Vertragsfreiheit eingegriffen“. Dies sei eine pauschale Verurteilung des Berufsstandes.

Tatsächlich ist die Verteufelung der Manager und vor allen der Banker durch das Interesse bestimmt, von den Ursachen der Krise abzulenken. Diese liegen in einer Wirtschaftsweise beschlossen, in der ein Kapital auf das andere drückt und dadurch ein Resultante herauskommt, die keiner gewollt hat, in der sich Preise und Werte nur durch ständige Eruptionen anpassen können, in der auf Verdacht produziert wird, ohne zu wissen, wie lange man die Ware und ob überhaupt verkaufen kann. Diese Krisenträchtigkeit der freien kapitalistischen Marktwirtschaft soll aber nicht ins Massenbewusstsein dringen, deshalb wird auf Manager und Banker geschimpft, als ob diese persönlich Schuld an der Krise tragen.
Unmittelbarer Zweck von Managern und Bankern ist die Profitmaximierung. Das ist ihr Job, und wenn sie ihn nicht erfüllen, fliegen sie raus. Angebliches „Fehlverhalten seitens einiger Manager“ kann einmal zum großartigen Erfolg werden, in anderen Situationen des chaotischen Marktes kann daraus eine Pleite des ganzen Unternehmens werden. Insofern hat der Verbandpräsident Posé recht, wenn er der Regierung und der interessegeleiteten Öffentlichkeit indirekt moralische Heuchelei vorwirft.
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Besonders perfide ist die Kritik an den Bankern. Es wird das antisemitische Klischee vom guten und bösen Kapital wieder aufgewärmt. Das „schaffende Kapital“, heute heißt es Sachkapital, wird dem „raffenden Kapital“, das nach der Nazi-Ideologie jüdisch beherrscht wäre, heute heißt es „Risikokapital“ oder „Bad Bank, gegenüber gestellt. Tatsächlich gibt es gar keinen Unterschied zwischen Industrie- und Geldkapital. Jedes Kapital durchläuft in seinem Zyklus viele Stationen wie Maschinenkapital, Lohnkapital, Warenkapital und auch Geldkapital. Letzteres liegt auch nicht auf der Bank, sondern wird von den Banken an die Industrie gegen Zinsen, also Anteile am Profit, verliehen, und entsprechend ist Industriekapital, das angeblich schafft, größtenteils von den Banken geliehen. Banker haben über das Geldverleihen hinaus die Aufgabe, fiktives Kapital zu erzeugen. Seit den Anfängen des Kapitalismus gibt es dieses, z.B. in Form von Wechseln, die weiterverkauft werden können. Fiktives Kapital hat dieses Wirtschaftssystem extrem elastisch gemacht und gehört deshalb notwendig zur Kapitalakkumulation. Fiktives Kapital ist aber immer auch prekär. Vereinfacht gesagt: Verkauft z.B. eine Bank ihre Kreditansprüche weiter, der Käufer dann auch usw., so verdoppelt sich jeweils für eine Zeit lang das ursprünglich geliehene Kapital, ist also mehrfach vorhanden. Kann dann der ursprüngliche Kreditnehmer den Kredit nicht zurückzahlen, weil er z.B. seine Waren nicht mehr verkaufen kann, dann wird die Verdrei- oder die Verfünffachung des Betrages, auf die der Kredit lautet, platzen, jeder will vom anderen, durch dessen Hände der Kredit ging, sein Geld zurück, alles strömt aus dem fiktiven Kapital heraus zu wirklichem Geld (Zahlungsmitteln) und die Krise verschärft sich. Wo die Grenze liegt, wie viel fiktives Kapital erzeugt werden kann, ist prinzipiell nicht angebbar, sie hängt wie der Warenverkauf von der Anarchie des Marktes ab. Die Banker, die sich zu weit vorgewagt haben, werden nun an den Pranger gestellt – unter anderen Umständen hätte man ihre Bonis erhöht.
Es ist moralische Heuchelei - von der Regierung, den bürgerlichen Journalisten und den Kabarettisten, soweit sie sich als Hofnarren der freien Marktwirtschaft gebären - Einzelpersonen die Schuld an der Krise zuzuschieben. Sie verdrängen dadurch ihre eigene Schuld, die darin besteht, eine unbeherrschbare Wirtschaftsweise aufrechtzuerhalten.
Die HAZ gibt wieder: „Der Verband stelle seit Ausbruch der Wirtschafts- und Finanzkrise fest, dass von Politikern, Gewerkschaften oder anderen Interessengruppen vermehrt mit dem Verweis auf ethische Grundsätze Forderungen gestellt würden. Gleichzeitig würden diese Gruppen aber ihre ‚Eigeninteressen verschleiern’.“ Was diese Eigeninteressen sind, steht nicht in dem Artikel. Wenn Moral der Verschleierung dient, dann ist sie ein Mittel im Interessenkampf. Eine Moral als Mittel des Konkurrenzkampfes kann aber nicht die Aufgaben erfüllen, die sie in der kapitalistischen Gesellschaft hat, nämlich die Regeln des Geschäftemachens zu sichern, z.B. das freiwillige Einhalten von Verträgen zu fordern. So schädigt die vorherrschende moralische Heuchelei den Gang der Mehrwertproduktion und verschärft die Krise noch. Wenn aus moralischer Heuchelei mit „Totschlagargumenten“ in die „Vertragsfreiheit“ der Wirtschaft eingegriffen wird – z.B. um wahltaktisch Pluspunkte zu erlangen, dann wird auch die Profitmaximierung gehemmt, indem z.B. fähige und risikobereite Manager abwandern, und das deutsche Kapital verliert Punkte gegenüber seinen ausländischen Konkurrenten. Insofern hat der Ethikverband im begrenzten Denkhorizont der kapitalistischen Ökonomie recht.
Das heißt aber nicht, dass die organisierten Ethikisierer die Moral auf ihrer Seite haben. Auch sie vertreten „Eigeninteressen“ hinter moralischer Entrüstung. Sie wettern gegen gesellschaftliche Kräfte, die bestrebt seien, „einen Keil zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu treiben“ – so Posé wörtlich - „Dadurch wird die Chance genommen, die Krise gemeinsam zu bewältigen.“
Wie diese gemeinsame Bewältigung aussieht, kann man dieser Tage bei Daimler beobachten: Das Kapital senkt den Arbeitern den vertraglich zugesicherten Tariflohn unter dem Vorwand der Krise. Die Volksgemeinschaft zwischen Kapital und Arbeit hat sich bisher immer als moralische Heuchelei zur verschärften Ausbeutung entpuppt. Die Kritik an interessegeleiteter moralischer Heuchelei ist selbst nur ein Mittel, die eigenen Interessen des Ethikverbandes und seiner Finanziers zu verschleiern. Schöner als mit moralischer Entrüstung geht es nicht, selbst zu heucheln. Was kann man auch von den Ethikisierern der Deutschen Wirtschaft erwarten, einer Klasse, die täglich den Mehrwert der Lohnabhängigen stiehlt und zugleich die Freiheit des Eigentums propagiert?
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